Einer der häufigsten Argumente gegen das Konzept der Paleo-Ernährung ist die Tatsache, dass diese äußerst restriktiv ist (was gewissermaßen auch stimmt – jedoch nicht unbedingt im negativen Sinne), und es doch viel gesünder wäre, alles in Maßen zu konsumieren. Ein bisschen von allem – damit könne man ja nichts falsch machen und begibt sich nicht in die Gefahr einer Mangelernährung. Es ist ein vielzitiertes Dogma vieler Diätratgeber und gehört praktisch zum Allgemeinwissen.
Jedoch: Nur weil etwas oft und von vielen Seiten wiederholt und als gegeben angesehen wird, ist es nicht zwingend korrekt. Und gerade im Bereich der Ernährung erweisen sich viele Annahmen später als vollkommen falsch – auch wenn sich einige von ihnen noch lange hartnäckig zu halten scheinen.
Zunächst mag es durchaus sinnvoll erscheinen, sich möglichst abwechslungsreich zu ernähren – sprich möglichst viele verfügbaren Nahrungsmittel zu konsumieren, um Mangelerscheinungen zu verhindern. Jedoch rechtfertigt dieser Ratschlag zugleich den gelegentlichen Konsum von Nahrungsmitteln, die unserem Körper schaden – oft schon in geringer Dosis. Die Menge macht das Gift ist in diesem Zusammenhang eine weitere Floskel, die leider nicht immer zutrifft, wenn man sich die genaue physiologische Wirkungsweise bestimmter Nahrungskomponenten genauer ansieht. Hiermit wird uns praktisch suggeriert, dass es besser ist, sich hin und wieder ein Softdrink, einen Kuchen oder ein paar Cocktails zu gönnen, als diese Dinge gar nicht zu konsumieren (auch die Lebensmittelindustrie bedient sich bei Verzehrsempfehlungen auf Verpackungen gerne des Ausdrucks moderat, vor allem wenn es um weniger gesunde Produkte geht). Weil man sich damit ja zu sehr einschränken würde. Und das trotz der Tatsache, dass diese Lebensmittel keine für uns unverzichtbaren Nährstoffe enthalten, eher im Gegenteil.
Hinzu kommt, dass der Zusammenhang zwischen bestimmten Nährstoffen und gewissen gesundheitlichen Symptomen sehr schwer nachzuweisen ist, solange man erstere nicht für einige Zeit vom Speiseplan verbannt: Z.B. kann sich die Unverträglichkeit bestimmter Weizenproteine mittels Symptomen wie Migräne, depressiver Verstimmungen oder Hautausschlägen äußern, selbst wenn man mit keinerlei Verdauungsproblemen zu kämpfen hat oder ein Zöliakie-Test negativ ausgefällt – auch Entzündungsprozesse im Darm gehen oft lange Zeit unbemerkt vonstatten. Nur als eines von vielen Beispielen – genauso können (Frucht)zucker, bestimmte Milchproteine oder histaminhaltige Lebensmittel bei manchen Menschen negative Stoffwechselreaktionen auslösen.
Nicht zuletzt zeugt es von einer gewissen Bequemlichkeit (vielleicht aber auch nur Zeit- oder Wissensmangel) herauszufinden, wie unser Körper auf bestimmte Nahrungsmittel reagiert, bzw. was passiert, wenn man eine Zeitlang auf diese verzichtet ( = Ausschlussdiät). Dies mag zugegebener Maßen ein langwieriges Projekt sein, das Durchhaltevermögen erfordert – man wird jedoch im Idealfall mit einer langfristig besseren Gesundheit und Wohlbefinden, körperlich wie psychisch, belohnt. Und gerade bei Menschen, die unter chronischen Beschwerden leiden, die zum großen Teil oder sogar gänzlich ernährungsbedingt sind, ist dies zweifellos sehr viel wert.
Es gibt keine wissenschaftliche Evidenz dafür, dass der Verzicht auf bestimmte Nahrungsmittel (wie Zucker, Alkohol, Transfette oder Weizenprodukte) gesundheitliche Nachteile mit sich bringen, wenn diese keine essentiellen Nährstoffe beinhalten, die man nicht auch und evtl. in größeren Mengen sowie bei besserer Bioverfügbarkeit (d.h. Verwertbarkeit durch unseren Körper) in anderen Lebensmitteln findet, die zugleich weniger negative Auswirkungen auf unsere Gesundheit haben. Es macht wenig Sinn, Dinge zu essen, die für uns keinen bzw. nur einen sehr geringen Nutzen haben, uns aber unter Umständen schaden.
Wirken z.B. bestimmte Weizenproteine im Darm entzündungsfördernd, wäre es nicht besser, sie gänzlich zu meiden, als nur zu reduzieren, damit Entzündungsreaktionen erst gar nicht auftreten? Hierbei ist auch zu beachten, dass dies nicht immer mit eindeutigen Symptomen (wie z.B. Verdauungsbeschwerden) einhergeht und es somit ohne eine Untersuchung des Darmgewebes oder eine Ermittlung der Entzündungsmarker-Werte oft schwer festzustellen ist, wie man auf bestimmte Mikronährstoffe reagiert.
Es gibt essenzielle Fettsäuren, essenzielle Aminosäuren (Proteine) und bestimmte Mikronährstoffe (Vitamine und Mineralien) – diese sollten wir in ausreichenden Mengen mit der Nahrung zu uns nehmen. Es gibt jedoch keine eindeutigen Nachweise, dass bestimmte Lebensmittelgruppen (wie z.B. Getreide oder Milchprodukte) essenziell sind – dass es also beim Verzicht auf diese zwangsläufig zu Mangelerscheinungen kommt. Im Übrigen gibt es auch keine essenziellen Kohlenhydrate – auch wenn manche Menschen von einer kohlenhydratarmen Ernährung mehr profitieren als andere, wobei hier vermutlich vor allem genetische Faktoren im Spiel sind.
In einer 2015 veröffentlichten Studie gingen Forscher genau dieser Problematik auf den Grund: Sie wollten herausfinden, wie eine Lebensmittelvielfalt in der Ernährung der Probanden mit Faktoren wie Gewicht, Bauchumfang sowie Typ 2 Diabetes korreliert. Dies wurde anhand von Fragebögen zur Verzehrshäufigkeit (Food Frequency Questionnaire) bewertet, die eine Liste mit 120 Nahrungsmitteln beinhalteten – die 2, 505 Studienteilnehmer sollten hierbei angeben, wie oft sie was zu sich nahmen (vereinfacht ausgedrückt – es wurden zahlreiche andere Daten erhoben und berücksichtigt).
Die Gewichtszunahme sowie das Auftreten von Typ 2 Diabetes über den Studienzeitraum waren bei jenen Personen am höchsten, deren Ernährung die größte Vielfalt an Nahrungsmitteln aufwies. Zugleich griffen jene, deren Diät weniger vielfältig war, eher zu gesünderen Lebensmitteln. Die Studienautoren schlossen daraus, dass die Qualität dessen, was man konsumiert, eine wichtigere Rolle spielen dürfte als dessen Vielfalt, und dass der Ratschlag alles in Maßen zu essen nicht unbedingt zu einer gesünderen Ernährungsweise oder einem besseren Stoffwechsel führt.